gateSTORY – Als MedTech länger leben
Zwei gate-Startups bestehen in Krisenzeiten
Als ob die strengen Regularien nicht schon Herausforderung genug wären, hat die Corona-Krise den Druck für Startups in der Gesundheitsbranche zusätzlich erhöht. Mit welchen Strategien sie dennoch erfolgreich sein können, zeigen die Beispiele der gate-Startups Clinaris und Irasun.
Lange Markteintrittszeiten und das komplexe System aus Krankenkassen und Versicherungen erschweren die Einführung von neuen Produkten im Gesundheitswesen grundsätzlich. Hinzu kommt, dass die Entscheiderstrukturen meist vielschichtig sind. Denn nicht nur die Klinikführung muss überzeugt werden, sondern auch Ärztinnen, Pflegepersonal, Therapeutinnen und Facheinkäufer*innen. Die Corona-Pandemie hat in letzter Zeit zusätzlich für Unsicherheit und Stress in der Branche gesorgt.
Wie hat sich diese Krisensituation für Startups ausgewirkt? Laut der „Digital Healthcare“-Studie von Beratergesellschaft PwC meistern die Startups die Krise gut: 82 Prozent der 27 Befragten sehen die Corona-Krise als Chance für ihr Geschäftsmodell, 72 Prozent rechnen in diesem Jahr mit mehr Investitionen und 80 Prozent berichten von einer verstärkten Nachfrage ihrer Kunden nach Produkten und Dienstleistungen sowie einer wachsenden Zahl von Neukunden.
Ähnliches berichten auch zwei MedTech-Startups aus dem gate: Clinaris und Irasun stehen für technische Innovationen in Kliniken. Im Gespräch mit den Gründern wird schnell deutlich, inwiefern der Erfolg von Gesetzen abhängt. Denn Innovationen werden streng geprüft, bevor sie in Kliniken zum Einsatz kommen können. Gesetze können aber auch Innovationstreiber sein, wie am Beispiel von gate-Startup Clinaris deutlich wird.
ÜBERFÄLLIGE DIGITALISIERUNG
Dass deutsche Kliniken in Sachen Digitalisierung hinterherhinken ist bekannt. Sie gelten als starr und unaufgeschlossen für neue Technologien. Die Vorsicht bei der Einführung von Innovationen ist zwar nachvollziehbar, für schnelllebige Startups jedoch eine große Hürde. Dennoch weiß der Staat um die Notwendigkeit der Digitalisierung, sodass Regelungen wie das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) die Mittel bereitstellen, um Kliniken die Investitionen in Erneuerungen zu erleichtern. Damit löst es momentan einen Nachfrageboost an digitalen Lösungen aus. Zum Vorteil von Clinaris.
Das Team entwickelt die Software HPM®, eine intelligente Digitalisierungslösung für eine sichere und effiziente Zusammenarbeit zwischen Pflege, Hygiene, Medizintechnik, Reinigung/Aufbereitung und Controlling. HPM® ist eine Software-as-a-Service-Lösung, mit der das Krankenhauspersonal den Aufbereitungsprozess von Betten und anderen Medizinprodukten sowie von Krankenzimmern in Echtzeit tracken kann. Das Personal ist so jederzeit über den Standort und den technischen sowie hygienischen Zustand von Medizinprodukten informiert. Damit bleibt den Pflegekräften mehr Zeit und Raum für ihre wichtigen Aufgaben. Die Klinik spart zudem Geld ein. Die Relevanz der Lösung wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass der schnelle Zugriff auf ein dringend benötigtes Medizinprodukt lebensentscheidend sein kann.
MIT FOKUSSIERUNG AUF DAS WESENTLICHE DURCH DIE KRISE
„Digitale Hygiene-Konzepte müssten eigentlich verpflichtend in Kliniken sein“, meint Thorsten Amann, Co-Founder und CEO von Clinaris. Er ist davon nicht nur überzeugt, um für die eigene Softwarelösung zu werben. Spätestens seit der Corona-Pandemie ist die Sensibilität für das Thema Hygiene allgemein bekannt. Das Krisenjahr 2020 war auch für das junge Unternehmen schwierig. Seit 2021 herrscht aber wieder Aufwind.
Thorsten Amann und seine Kollegen haben die Krise überstanden, indem sie sich auf die Produktentwicklung und Kontaktpflege fokussierten. Außerdem half die Verstärkung durch einen Beirat bei strategischen Entscheidungen. Mit Der Einstellung eines Azubis geht Clinaris zudem einen unkonventionellen, aber sinnvollen Weg der Mitarbeiterentwicklung. Mutig zeigte sich Clinaris auch bei der Entscheidung, keine Kurzarbeit anzumelden.
Die Signalwirkung an die Investoren und am Markt sollte klar sein: Wir sind präsent – und blicken auch in Krisenzeiten lösungsorientiert nach vorne. Entgegen den Erwartungen ist das Clinaris-Team dadurch im vergangenen Jahr Gewachsen.Thorsten Amann beobachtet, dass Kliniken die sinnvolle Vernetzung von Prozessen mit technischen Lösungen ausbauen möchten. Ein Erfolgsfaktor ist dafür die Vertiefung von Partnerschaften, die das Vertrauen in das junge Unternehmen stärken. Clinaris ist es beispielsweise gelungen, die Zusammenarbeit mit Bosch, Cisco und Ascom auszubauen. Dementsprechend zuversichtlich blickt Clinaris auch in die Zukunft.
Auch ein Generationenwechsel der Führungskräfte begünstigt laut der Erfahrung von Clinaris die Investitionen in digitale Lösungen. Thorsten Amann meint: „Die Kliniken springen circa 20 Jahre später auf den Zug der Digitalisierung auf.
Dafür braucht es vor allem die Offenheit von Entscheidungsträgern.“ Wie entscheidend die Innovationsbereitschaft der Kunden für den Erfolg ist, davon kann auch gate-Startup Irasun berichten.
LEBENSRETTENDES NISCHENPRODUKT
Der Kundenkreis von gate-Startup Irasun ist klein. Die Entscheiderinnen und gleichzeitig Anwenderinnen seiner Produkte sind führende Kardiotechnikerinnen in Deutschland und dem europäischen Ausland. Das Netzwerk kennt sich und der persönliche Austausch wird gepflegt. Die Innovationsbereitschaft ist hoch. Die Kardio-Technikerinnen wenden sich dementsprechend mit ihren Wünschen direkt an die Entwicklerinnen der Medizinprodukte. Anhand des Feedbacks steuert Irasun die Produktentwicklung.
Das MedTech-Startup entwickelt und vertreibt den „SEVACO LK3“, den weltweit ersten Vakuum-Kontroller für Herz-Lungen-Maschinen. Besonders wichtig im Zusammenhang mit diesen Maschinen, die lebensrettend sein können, sind präzise Druckregelung und zuverlässige Sicherheitsmechanismen. Mit seiner Innovation konzentriert sich das Team von Irasun daher auf maximale Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit.
Bald ist auch das neue Produkt von Irasun zugelassen: Der Thermolink kann keimfrei an die sogenannte ECMO angeschlossen werden – die Maschine für extrakorporale Membranoxygenierung und die extrakorporale Lungenunterstützung. Diese Maschinen ersetzen teilweise oder vollständig die Herz- und Lungenfunktion für Patientinnen außerhalb des Körpers. Mit dem Thermolink lässt sich nun zusätzlich die Körpertemperatur der an die ECMO angeschlossenen Patienten regulieren. Das zirkulierende Blut lässt sich mit dieser Innovation steril und sicher kühlen beziehungsweise wärmen. Der Thermolink kann auch mobil eingesetzt werden, was einen entscheidenden Unterschied im Notfall bedeuten kann.
Fabian König, Gründer und Geschäftsführer von Irasun, weiß die direkte Verbindung zu seinem Kundenkreis zu nutzen. Irasun stellt regelmäßig Testgeräte zur Verfügung und legt den Fokus auf persönlichen Service. Das kommt bei den Kunden gut an und spricht sich herum. Der persönliche Austausch ist eine der wichtigsten Quellen für die erfolgreiche Unternehmensentwicklung von Irasun.
DURCHHALTEVERMÖGEN BEI DER EU-AKKREDITIERUNG
Erfolgsentscheidend ist zudem die Akkreditierung nach der EU-Verordnung Medical Device Regulation (MDR). Nach einer mehrjährigen Vorbereitungsphase ist diese im Mai 2021 verbindlich in Kraft getreten. Sie regelt die Akkreditierung von Medizinprodukten mit noch strengeren Maßgaben, um ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes der Patient*innen zu sichern.
Die Dauer, bis neue Medizinprodukte die Akkreditierung durchlaufen haben, ist sehr schwer einzuschätzen. In der Regel vergehen Jahre. Daher kommt es auf gute Vorbereitung, sorgfältige Dokumentation und vor allem Durchhalte-vermögen an. Dazu kommt, dass große und etablierte Hersteller oft Vorrang vor Startups genießen. Auch das Verfahren ist teurer geworden. Mit diesen Hürden umzugehen ist eine große Herausforderung, die Irasun jedoch mit großer Zuversicht angeht, da das Team die MDR von Beginn an in der Strategie berücksichtigt hat.
Fabian König sieht die Situation als Chance: „Große Unternehmen sind in der Produktentwicklung meist langsamer als agile Startups. Die jungen Teams können flexibler reagieren und sich schneller anpassen. Für eine Vielzahl etablierter Produkte ist eine Zertifizierung nach MDR, mit dem damit verbundenen regulatorischen Aufwand, aus finanzieller Sicht nicht sinnvoll. Dies wird zu einer drastischen Reduktion an Produkten und Produktvarianten am Markt führen, was dann auch aus Kliniksicht eine große Herausforderung darstellt. Die Produktknappheit kann sich massiv auf bestehende Prozesse auswirken. Innovationen werden so jedoch wieder gefragter.“
Die Beispiele von Clinaris und Irasun machen deutlich, wie Krisenzeiten auch als Chance dienen können. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind die kundenzentrierte Produktentwicklung und die Netzwerkpflege. Der Mut zu unkonventionellen Entscheidungen und die persönliche Kommunikation mit Kunden können vor allem in komplexen Systemen wie dem Gesundheitswesen entscheidend sein.
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Fabian König
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